Interview mit Marco Walser (Elektrosmog)
von David Clavadetscher, Februar 2003
Marco Walser, geboren 1973 in Zürich, studierte zwischen 1994 und 1998 an der Hochschule für Gestaltung in Kunst Zürich visuelle Gestaltung. 1997absolvierte er bei der ‹Graphic Thought Facility› in London ein Praktikum.
Zusammen mit Valentin Hindermann gründete er 1999 das Atelier "Elektrosmog" in Zürich, wo er auch heute noch arbeitet. Hinzu kommt seit 2000 die Arbeit im Gestalterkollektiv "PING PONG", die 2001 am Eidg. Wettbewerb für Design ausgezeichnet wurde. Zusammen mit Kurt Eckert leitet er seit 2001 den "Typoklub", eine Lehrveranstaltung an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich.
 
Marco Walser, warum gestaltest Du? Was ist Deine Antriebskraft, Dein Ansporn?
Gestalten an und für sich ist ein weiter Begriff. Das beginnt bereits in der Kindheit, ist daher schwer zu sagen. Aber die Disziplin Graphic Design fasziniert mich durch ihren hohen Grad an Unmittelbarkeit. Man hat die Möglichkeit, sich selber als Autor mit einem Flyer oder Poster zu äussern, raus zu gehen, sich an seine Umgebung zu wenden. Durch den Computer ist man zudem flexibel und schnell mit Messages.
Auch mit der Idee, dass man etwas bewirken kann?
Ich komme auch aus dem Party- und Barorganisieren heraus. Mit einem Flyer kann man bewirken, dass sich Leute an einem Ort versammeln. Man kann bereits eine Ambiance oder Erwartungshaltung bewirken. Das waren die ersten Erkenntnisse. Ausserdem habe ich früher gesprayt. Der normale Werdegang: "vom Grafittisprayer zum Art Director". Auch in der Hip Hop-Kultur geht man raus und verschafft sich durch seine Veräusserungen Respekt.
Wie schaffst Du Dir im Bereich der Grafik Respekt? Woher bekommst Du gestalterische Anerkennung, Bestätigung? Oder brauchst Du das gar nicht?
Klar braucht man das. Es ist zwar super, wenn der Kunde zufrieden ist und das Gefühl hat, sein Geld gut investiert zu haben. Klar gestalte ich für ein breiteres Publikum. Aber was Anerkennung und Respekt betrifft, gestalte ich nur für einen kleinen Kreis. Das Feedback dieser Gruppe ist für mich ein Gradmesser, durch welchen ich meine Arbeit beurteilen kann.
Bekommst Du auch von der Öffentlichkeit Rück-meldungen?
Nein, das ist eigentlich eine Schattenseite des Grafikerdaseins. Nicht wie Artisten, die unmittelbar auf ihre Darbietung Emotionen und Applaus zurückbekommen. Das fehlt in der herkömmlichen Arbeit des Graphic Designers gänzlich.
Welche Fähigkeiten erachtest Du für einen Gestaltenden am wichtigsten?
Fähigkeiten, mein Gott. Das hängt natürlich auch von seiner Position ab oder wie organisiert man arbeitet. Als Selbständigerwerbender drängt sich natürlich Hartnäckigkeit, Durchsetzungsvermögen, Organisationstalent auf – auch in administrativem Sinne.
Und auf den gestalterischen Prozess bezogen?
So wie wir arbeiten ist es wichtig, wachsam zu sein und ein breites Aufnahmevermögen zu haben. Ein breites sozio-kulturelles Wissen zu haben, weiss was in verschiedenen Disziplinen läuft. Beinahe wie ein Politiker, der über viele Themenbereiche informiert sein muss.
Habt Ihr beim Gestalten eine bestimmte Methode? Gibt es in Eurem Vorgehen irgendein erkennbares Muster, eine Struktur, die sich wiederholt?
Das gibt es zum Teil leider, zum Teil glücklicherweise. Oft möchte man aus einer solchen verinnerlichten Methodik ausbrechen. Sagt sich: "Diesen Job machen wir innerhalb einer Woche." Oder: "Wir arbeiten ganz klar nach einem zehn-Punkte-Manifest". Bei uns klappt das nie. Wir fallen immer wieder auf alte Rituale zurück: Zuerst schieben wir zu zweit Ideen hin und her. Dann entscheidet man sich für eine Grundidee, arbeitet daran weiter, skizziert, macht sich Notizen. Im Idealfall kann sich das während einer Woche setzen. Dann probiert man das aus oder sucht Sachen zusammen, recherchiert. Falls es Zeit und Budget erlauben versuchen wir, das Atelier zu verlassen, rauszugehen, fotografisch zu recherchieren, in Archiven zu stöbern. Das durchzieht unsere Arbeit wie ein roter Faden.
Wie kommt Ihr konkret zu Ideen?
Eine Methode, wie wir zu Ideen kommen, ist durch ganz formale, dialektische Spiele. Beispielsweise versuchen wir, für gefundene Wortspiele visuelle Entsprechungen zu finden. Manchmal eignet sich das.
Invertierung ist eine weitere nützliche Methode. Wir versuchen, das Briefing zu hinterfragen und das Gegenteil zu realisieren. Vielleicht stellt es sich nur als dummes Rebellieren gegen vorgesetzte Zwänge heraus. Dann muss man zurückbuchstabieren.
Zudem kann man anhand bestehender Arbeiten Anderer, die man im Kopf mit sich herumträgt, Erkenntnisse ableiten und Lösungen für seine Arbeit adaptieren – ohne dass es zur plumpen Kopie verkommt.
Die Recherche ist ein weiteres Feld für Ideen. Man stösst vielleicht auf etwas; visuelle Versatzstücke, die einen interessieren. Die man aufnimmt und versucht, in ein Konzept einzubauen. Oft kommen einem die besten Ideen, wenn man nicht daran arbeitet. Ich habe viele Ideen auf dem Weg zum WC oder auf dem WC selber. Ich finde es wichtig, Pausen zu machen. Man verbringt sonst schon zu viel Zeit vor dem Bildschirm und da sind mir noch nie schlaue Sachen eingefallen!
Gibt es überhaupt noch Freiräume zur Innovation eigenständiger Ideen? Oder gibt es alles schon?
Man muss sich vehement von dieser Angst befreien, dass es alles schon gibt. Bei Betrachtung der Weltgeschichte ist es klar, dass alles bereits da war – sogar mehrmals. Wenn man sich aber bewusst um eine Arbeit kümmert, seinen eigenen Spirit und Geist einbringt, entsteht im jeweiligen Kontext logischerweise etwas Eigenständiges und Neues.
Ein interessantes Phänomen ist, dass oft verschiedene Leute unbewusst und unabhängig voneinander an gleichen Sachen arbeiten. Natürlich ist es nicht weiter erstaunlich, dass Leute, die sich ähnliche Sachen überlegen und sich in ähnlichen Umfeldern bewegen, automatisch zu ähnlichen Resultaten kommen. Es ist wohltuend, zu merken, dass man mit anderen in einem zeitgemässen Kontext steht.
Was für eine Rolle spielt der Kunde bei Euch? wie viel Mitspracherecht räumt Ihr ihm ein? Wie sieht die Zusammenarbeit aus?
Das ist einmal eine einfache Frage. Es ist so, dass wir extrem gerne und nahe mit dem Kunden zusammenarbeiten – falls es Kunde und Zeit erlauben. Vor allem bei der Recherche ziehen wir ihn oft mit ein; stellen Fragen. Manchmal ist es richtiggehendes Teamwork, da unsere Kunden oft aus der kreativen Ecke stammen.
Wie können denn solche Fragen lauten?
Entweder ist es eine Erhebung, eine Meinungsumfrage, um zu Material zu kommen – manchmal auch per Fragebogen. Oder dann konkretere Fragen: "Hast Du nicht noch in Deinem Archiv…?" oder "Gibt es nicht noch das und das…?"
Welche Art Kunden habt Ihr denn?
Wir haben für das Migros Kulturprozent sowie das migros museum, Museum der Gegenwartskunst gear-beitet. Seit beinahe zwei Jahren arbeiten wir für das Bundesamt für Kultur. Gestalten Plakat, Einladungskarte und Künstlerbücher für das Kunsthaus Glarus und zuletzt ein Ausstellungsdesign für einen Kunstraum in Basel. Daneben Aufträge aus den Bereichen Musik, Film und anderen Kultursparten.
Gibt es einen bewussten Grund, weshalb Ihr momentan beinahe ausschliesslich im kulturellen Bereich tätig seid?
Einerseit ist es die Arbeit, welche einem als Gestalter und Autor am meisten abfordert. Andererseits verliefen bisherige Kontakte mit Werbung oder kommerziellen Aufträgen meist negativ oder waren schwierig. Von Anfang an war unser Credo, mit Elektrosmog unser Geld zu verdienen und sich selbst verwirklichen zu können, ohne nebenher freelancen zu müssen.
Das klappt momentan?
Das klappt zeitweise besser, zeitweise schlechter. In unserem Tätigkeitsfeld hat man ein relativ beschränktes Budget zur Verfügung. Ausserdem ist es mit grossem Zeitaufwand verbunden, wenn man auf unsere freie Art in ein Projekt einsteigt. Daher braucht es ab und zu ein besser finanziertes Projekt oder wir müssen einen Auftrag schneller abwickeln.
Gestalten scheint mir ein zeitlich schwer berechenbarer Vorgang. Eine Idee kann endlos weiterentwickelt werden. Wie merkst Du, wann es Zeit ist, eine Arbeit abzuschliessen?
Meistens wenn man übernächtigt da sitzt und übermorgen die Präsentation stattfindet. Es passiert meist nicht freiwillig. Ausser man setzt sich ganz klare Richtlinien und trainiert sich, sie einzuhalten. Man muss auch lernen oder darauf vertrauen, dass die erste oder zweite Idee die richtige ist. Diese Phase darauf abhaken kann und einen Schritt weiter geht zur Umsetzung dieser Idee. Es sind wie Räume, die man durchschreitet. Wenn man einen Raum verlassen hat, muss man die Türe hinter sich schliessen und zulassen.
Macht Ihr einen Zeitplan?
Klar. Das tönt jetzt so schön mit den geschlossenen Türen. Aber manchmal merkt man, dass eine Idee nicht so toll ist, wie im Kopf vorgestellt. Dann muss man die Türe wieder öffnen und zurückgehen. Das wirft den Zeitplan durcheinander und macht schlechte Stimmung im Atelier. Das ist die Schwierigkeit, dass man zu Gunsten der Arbeit gerne nochmals einen Tag investiert, obwohl Zeit und Geld eigentlich gar nicht vorhanden sind.
Wie sieht denn ein solcher Zeitplan aus?
Wenn wir einen Auftrag fassen, überlegen wir uns ganz pragmatisch, wie viel Zeit wir benötigen, wann eine erste Ideenpräsentation mit dem Kunden stattfinden soll. Dann strukturieren wir den Ablauf: erste Präsentation, zweite Präsentation oder Zwischenpräsentation. Deadlines kommen dazu. Druckereien haben starre Lieferfristen, wir rechnen auch von hinten her: drei, vier, fünf Wochen. Dann gibt es eine Schlusspräsentation, Gut zum Druck, Korrekturphase.
Pragmatisch ist es relativ klar gegliedert. Nur bei der Ideenfindung ist es enorm schwierig, sich eine klare Deadline zu setzen.
Findest Du, dass Ihr effizient arbeitet?
Wir sind dauernd in Diskussionen verstrickt, wie wir effizienter arbeiten könnten. Wir sind kein Paradebeispiel für Effizienz – überhaupt nicht. Ein Grund ist, dass wir kein visuelles Programm haben. Es ist nicht so, dass wir beispielsweise alle Jobs nur mit Helvetica Bold machen. Wir versuchen bei jedem Auftrag auf die neue Situation, neue Visionen oder auf aktuelle Bedürfnisse einzugehen. Das ist extrem zeitaufwändig.
Das kann man auch nicht einfach ändern…
Man kann sich bemühen, gegenüber sich selbst weniger anspruchsvoll zu sein. Sein Gestalter-Ego einmal gegenüber seinem Umfeld oder seiner Familie zurück-zustellen und finden: "Das reicht für diesen Job!" und früher nach Hause gehen. Das muss man lernen.
Bist Du immer motiviert?
Nein. Überhaupt nicht. Das ist leider eine extrem ernüchternde Erkenntnis. Man realisiert sein eigenes Atelier, es läuft, man kann es finanzieren und wacht trotzdem manchmal morgens auf und hat keine Lust, arbeiten zu gehen.
Handelt es sich denn um spezifische Momente?
Ja, klar. Wenn es im Atelier zwischenmenschlich nicht läuft. Man keine Lust hat, in diesen Raum zu kommen mit diesen Geräten und Maschinen und Stress in der Luft. Ausserdem ist es bei vielen Leuten in kleineren Ateliersituationen so, dass man permanent dabei ist, Jobs zu realisieren, Aufträge abzuschliessen. So dass man gar keine Zeit für Erholung und Reflexion hat – sich wieder einmal weiterzubilden. Dort kommt die Motivationskrise, der Drang nach einem Break.
Was sind Deine grössten Probleme, Schwierigkeiten im gestalterischen Prozess?
Ich bin jemand, der gerne relativ lange eine Idee im Kopf umherträgt, sie im Kopf reifen lässt, bis sie sich beinahe schon in Farbe und Form konkretisiert. Der Entwurf ist darauf eine ziemlich geradlinige Realisation dieser Idee. Klar gibt es im Prozess selber neue Erkenntnisse, und man merkt, dass man doch nicht alles im Kopf machen kann. Ich habe jedoch Probleme, wenn die Idee in meinem Kopf noch nicht reif genug ist, ich aber trotzdem gezwungen bin, sie zu realisieren. Dann hapert es extrem an der Realisation. Ist man befremdet. Oft ist dann auch die Idee nicht so gut. Manchmal ist man auch einfach nicht genügend wach oder ausgeschlafen, um etwas Gutes zu machen.
Der Gestaltungsprozess ist ein Wechselspiel zwischen dem Schaffen einer Vielfalt und der Reduktion derselben. Eingrenzung und Entscheidung spielen dabei eine wichtige Rolle. Hast Du jemals Probleme, gestalterische Entscheide zu treffen?
Da bin ich extrem schlecht. Vor allem im guten Fall, dass ich sehr inspiriert bin und es fliesst und sprudelt, habe ich oft Schwierigkeiten, mich zu entscheiden. Es gibt jedoch gute Medikamente dagegen. Beispielsweise ergeben die Erkenntnisse aus den Fragen, welche wir dem Kunden stellen, oft einen Grund, etwas zu tun; sich für eine Methodik oder Technik zu entscheiden. Oft brauche ich einen Grund, etwas zu tun.
Besprecht Ihr Eure Entscheide immer zusammen?
Ja. Es hilft sicher, ein sogenanntes ‘oeil extérieur’ draufblicken zu lassen. Manchmal ist es sogar besser, die Arbeit mit mehreren Personen zu besprechen. Andererseits hat man manchmal eine Vision im Kopf. Wenn dann jemand kommt und genau das Gegenteil sagt, bringt es einen in Konflikt.
Was sind nennbare Qualitätskriterien, nach welchen Du Gestaltung beurteilst?
Überraschung. Ich möchte von etwas überrascht werden. Es geht darum, den Zuschauer irgendwo abzuholen, wo er sich auskennt, ihn dort aber zu überraschen – ein Aha-Erlebnis auszulösen. Es ist wie im Fussball: Wenn mich jemand mit einem neuen Trick ausdribbelt, freue ich mich auch als übertölpeter Verteidiger.
Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist, dass eine Arbeit nicht nur durch ihre formale Brillanz besticht, sondern dass man erkennt, dass viel Reflexion darinsteckt. Eine konzeptionell brillante Überlegung bis an die Oberfläche durchdrückt.
Was macht Deiner Meinung nach etwas formal Brillantes aus?
Das ist schwierig zu sagen. Sicher eine handwerkliche Fertigkeit, die einem hohen Anspruch genügt. Durch den Computer ist das heutzutage zwar relativ schnell erreichbar, einem guten Produkt merkt man trotzdem an, wie gut es handwerklich gemacht ist.
Findest Du Deine Arbeiten gut?
Glücklicherweise nicht alle. Es gibt immer Highlights. Es ist übrigens ein wohltuendes Prinzip, von Zeit zu Zeit seine Arbeiten hervorzusuchen, zu betrachten und zu versuchen, sich auch an den eigenen Arbeiten zu orientieren und zu verbessern. Das macht man leider viel zu wenig.
Gibt es denn eine Arbeit, die Du besonders magst?
Eine Arbeit, die mir gut gefällt, sind die Plastikmäppchen, welche wir fürs Bundesamt für Kultur gestaltet haben. Dort haben wir herausgefunden, dass man auf diese Plastiksichtmäppchen Text oder Zeichnungen blindprägen oder -schweissen kann.
Oft hat man auch an kleinen Jobs Freude. Sachen die vielleicht gar nicht realisiert wurden. Oder an einer Schrift, die man gestaltet hat.
Zweifelst Du jemals an Dir selber als Gestalter oder an Deiner Arbeit?
Ich zweifle nicht an mir selber. An meiner Arbeit jedoch schon ab und an. Die richtigen Zweifel zum richtigen Moment sind durchaus angebracht, sogar sehr gut. Wichtig ist jedoch, dass man nicht verzweifelt.
Was sind denn beispielsweise Zweifel, die auftauchen können?
Fragen wie, ob man sich für die richtige Idee entschieden hat, ob man genug überlegt hat. Zweifel kommen auch auf, wenn man das Gefühl hat, man hätte mehr recherchieren sollen, mehr arbeiten. Oder, dass ich wieder einmal in die Schule gehen müsste – lernen als nur zu arbeiten.
Gibt es zeitloses Design?
Ich glaube, dass Arbeiten, die in ihrer Zeit extrem relevant waren, diese zeitgebundene Relevanz überdauern können. Es gibt Sachen, die einfach prinzipiell richtig sind – die über die Einlösung der Aufgabenstellung hinaus gehen. Es ginge vielleicht zu weit, die ultimative Definition für zeitloses Design zu finden. Denn dann könnte man es ja die ganze Zeit machen.
Habt Ihr denn den Anspruch, etwas nicht nur für den Moment zu machen?
Man muss sich wohl zwischen verschiedenen Halbwertszeiten entscheiden. Muss etwas für den Moment funktionieren, soll es eine einjährige Gültigkeit haben oder wird es in der Landesbibliothek für 500 Jahre eingebunkert? Es ist auch interessant, mit der Zeitachse zu arbeiten. So kommt man oft auch auf eine bestimmte Form oder ein Konzept.
Berücksichtigt Ihr das beim Gestalten?
Auf jeden Fall. Es wäre jedoch ziemlich vermessen, etwas zeitloses machen zu wollen. Man ist eher überrascht, wenn man eine dreijährige Arbeit hervorkramt – was natürlich überhaupt noch keine Zeitlosigkeit bedeutet – und sie noch immer durch formale und inhaltliche Qualität besticht.
Denkst Du, dass Gestaltung überhaupt losgelöst von Mode, Zeitgeist und Trend funktionieren kann?
Ja, das glaube ich. Auch im Bereich der Grafik, obwohl man der Grafik immer attestiert, dass sie stark an einen Zeitgeist gebunden ist. Die in der Graphic Design Geschichte präsenten Sachen bestechen nicht nur dadurch, dass sie in ihrer Zeit sehr relevant oder ihrer Zeit voraus waren, sondern auch dadurch, dass sie handwerklich gut gemacht sind. Die überdauern das.
Was denkst Du, sind die Hauptfunktionen von Gestaltung, Grafik Design im Besonderen?
Da gibt es verschiedene Credi. Einerseits geht es darum, dem Publikum die Welt sichtbar zu machen – das Bekannte durch verschiedene Filter anders zu visualisieren. Durch die eintretende Überraschung sehen sie die Welt neu. Das andere ist, dass man mit Gestaltung Informationen vermitteln kann. Direkt und konkret.
Wodurch sollte die Form, das Aussehen eines Produktes bestimmt werden?
Eigentlich durch die Erkenntnisse, die man während des Arbeitsprozesses hat. Ich kann nicht sehr expressionistisch arbeiten, ich arbeite eher rational kausal. Wenn ich ein weisses Blatt vor mir habe, brauche ich immer einen Grund für einen Strich auf dem Blatt. Aus der Konfrontation mit jemandem oder einem Thema leite ich einen Grund ab für den ersten Strich, oder eine Methode wie ich jetzt dieses Blatt fülle.
Sollte Gestaltung selbsterklärend sein?
Ja. Ich betrachte es auchals Qualitätszeichen, wenn der Betrachter ein Aha-Erlebnis hat, ohne dass ich etwas erklären muss. Selbsterklärend ist vielleicht ein falsches Wort. Es muss genug Suggestivkraft haben oder genug Emotionen auslösen, dass sich der Betrachter eine Erklärung dazu machen kann; es verstehen und entschlüsseln kann. Ich glaube nicht an eine Dienstleistungsgrafik, bei der immer alles klipp und klar sein muss. Wenn sich Sichtweisen über längere Zeit entwickeln müssen, sind Betrachter oft vor den Kopf gestossen. Dann kommt der Vorwurf, der ‘selbstverliebten Gestaltung’. Ich glaube aber, dass etwas das sich sehr liebt, auch sehr stark äussert. Was wiederum dem Betrachter hilft, eigene Erklärungen zu entwickeln.
Was versteht das Publikum von Gestaltung?
Ich glaube an ein extrem kompetentes Publikum. Alle Kinogänger sind beispielsweise Experten, da sie tagtäglich bewegte Bilder betrachten. Ähnlich verhält es sich mit Printmedien. Jedermann liest Zeitungen, Zeitschriften und ist daher ein Experte. Das Publikum ist jedoch selten bereit, Bildwechsel, Schichtwechsel, Paradigmenwechsel zu akzeptieren. Neue Schritte in Richtung einer anderen Bildsprache werden sehr verzögert vollzogen. Wenn jemand ins Theater geht ist er eher bereit, sich auf eine Andersartigkeit auf etwas Unkonventionelles einzulassen, als in der Grafik.
Gut, Theater hat den Status der Kunst.
Das ist die Konfliktstelle zwischen Dienstleistung und Kunst. Man müsste das Publikum eigentlich dorthinführen, dass es merkt, wie es hin und her kippen kann.
Deckt sich denn die Vorstellung der Gestalter von guter Gestaltung mit der des Publikums?
Man kann das Publikum nicht verallgemeinern. Je nach Auftrag hat das Publikum andere Kriterien, Spezialisierungen und Vorbildung. Trotzdem glaube ich, dass gute Gestaltung fähig sein sollte, alle Leute dort abzuholen, wo sie spezialisiert sind. Dass die Gestaltung so gut ist, dass ein Physiker oder eine Kleinkinderzieherin sich an Fragen erinnert fühlt, die sie sich in ihrer Arbeit stellen. Das wäre der Idealfall.
Denkst Du, dass Grafik das heutzutage macht?
Ich glaube, dass sich gute Gestalter darum bemühen. Ich bin oft im Konflikt: Einerseits versuche ich, meine eigene Sprache zu erneuern, zu verändern, so dass es mich weiterbringt und befriedigt. Andererseits versuche ich, mit dem Publikum zu konversieren. Rauszufinden, was man ihnen zumuten kann, wo sie noch einhaken können; sie überraschen und packen. Das Schwierige ist, die zwei Innovationsebenen in Einklang zu bringen. Es besteht natürlich schon die Gefahr, dass man sich als Grafiker des Publikums nicht bewusst ist, vereinsamt und sich nur noch um seine eigenen Bedürfnisse kümmert.
Gibt es irgendein Thema oder eine Frage, welche Dich als Gestalter stark beschäftigt und ich nicht angeschnitten habe?
Was mich am meisten aufregt ist, dass heute Design als etwas gestyltes wahrgenommen wird. Etwas das mit Tyler Brûlé zu tun hat, mit Lifestyle. Was ich mache hat jedoch überhaupt nichts damit zu tun. Designer ist für mich fast schon ein Schimpfwort.
Unter welcher Berufsbezeichnung bist Du denn im Telefonbuch eingetragen?
Kurz nach der Schule als Visueller Gestalter. Wenn ich jetzt gefragt werde, sage ich, dass ich Grafiker bin. Wobei der Begriff Grafiker historisch belastet ist durch jemanden, der aus Ulano-Folie Formen ausschneidet. Trotz modernem Touch kann man nicht sagen: “Ich bin ‘Graphic Designer’”. Man ist auch kein Künstler. Es gibt keine ideale Lösung. Vielleicht muss man dafür kämpfen, dass der Begriff Grafiker neu definiert, neu besetzt wird.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
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© David Clavadetscher, 2003.