Interview mit Pollly Bertram
von David Clavadetscher, Februar 2003
Polly Bertram wurde 1953 in Hamburg geboren. Ihre Jugend- und Schulzeit verbrachte sie in Luzern. Danach absolvierte sie an der Schule für Gestaltung in Zürich die Fachklasse für Grafik. 1981 etablierte sie zusammen mit Daniel Volkart ihr eigenes Atelier, welches sie nach 1992 alleine, unter Beizug freier Mitarbeiter weiterführte. 1983 erhielt sie den Förderpreis der Schule für Gestaltung Zürich. Hinzu kamen Lehrtätigkeiten und Gastlesungen an verschiedenen Schulen. So zum Beispiel an der SfGZ (1991-1999). Von 1999 bis 2002 leitete sie den Studiengang Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern. Seit dem Jahre 2000 hat sie eine Lehrstelle an der Comunicazione Visiva Supsi DAA in Lugano inne. Bertram war ausserdem Mitglied in Kommissionen und Jurys unterschiedlichster Wettbewerbe und Diplomierungen.
 
Polly Bertram, warum gestaltest Du? Was ist Deine Antriebskraft, Dein Ansporn?
Da ich seit 1999 nur noch Kunden weiterbetreue, wird das jetzt ein bisschen ein historischer Diskurs. Daher kann man diese Frage nicht mehr so stellen.
Vermisst Du das Gestalten nicht?
Absolut nicht; relativ schon. Beim Gestalten fängt man bei ‘A’ an und hört bei ‘B’ auf, innerhalb eines Projektes. Einmal ist es fertig, und der Prozess von Eingrenzungen der zuerst unzähligen Problemen und Möglichkeiten zur einen Lösung ist vertraut. Dieses ‘mit abgeschlossenen Schritten leben’ ist ein grosser Vorteil, das habe ich in meiner aktuellen Tätigkeit nicht. Ob ich das Gestalten in engerem Sinne vermisse, kann ich nicht wirklich sagen; Lust aufs Bildermachen habe ich ab und zu erheblich.
Also, warum hast Du gestaltet? Was war Dein Ansporn?
Mein Grundinteresse an diesem Beruf war zweiseitig. Einerseits ist es eine enorm vielfältige Tätigkeit. Man arbeitet mit Medien, man muss sich auf etwas schwer Kontrollierbares einlassen, man muss ein eigentliches Forschungsgebiet betreten. Dann muss man andererseits Kommunikation konzipieren. Man muss ein Konzept einer Wirkung von etwas noch nicht Existierendem machen. Etwas Prospektives. Gleichzeitig muss man auch bürokratische Fähigkeiten haben. Die Produktion organisieren, Termine, Zeitplan und so weiter.
Ideologischer betrachtet, was früher für mich sehr wichtig war, ist, dass man über Bilder auf die Welt Einfluss nehmen kann.
Aber hat es denn auch einen Einfluss?
Nicht im Sinne irgendwelcher Grössenphantasien. Aber in einem ganz ökologischen Sinn: Jedes Fläschchen, das man nicht wegwirft, ist ein Fläschchen, das nicht fortgeworfen wurde. Im Sinne einer Pflege der mitmenschlichen Intelligenz, der mitmenschlichen Augen. Man kann auch Botschaften mitverpacken.
Woher bekommst Du gestalterische Bestätigung und Anerkennung? Ist das wichtig für Dich?
Es gab Zeiten, in denen man gerne Preise gewonnen hätte, aber keine erhielt. Unsere Sachen wurden immer mit einer Verzögerung publiziert. Aber wenn der Kunde gut bedient ist, stellt mich das bereits ziemlich zufrieden. Weil ich in meiner Berufsausübung meist das Glück hatte, mit Leuten zusammenzuarbeiten, bei denen mir das auch wichtig war. Gut, ich weiss auch, wie ich selber auf Arbeiten von Kollegen reagiere: Relativ lieblos und kritisch. Also muss ich auch nicht erwarten, dass es generell anders zurückkommt.
Welche Fähigkeiten erachtest Du für einen Gestaltenden am wichtigsten?
Als phantasieloser Gestalter ist es recht schwer. Ich meine Phantasie im Sinne der Fähigkeit, eine Sache von verschiedenen Seiten her betrachten zu können, und Sachen miteinander zu verknüpfen, die nicht bereits miteinander verknüpft sind. Eine Beweglichkeit, konkrete Hypothesen erstellen zu können.
Gäbe es noch weitere Anforderungen?
Das zweite wäre schon der Spass, so viele unterschiedliche Sachen gleichzeitig zu machen – wie es dieser Beruf verlangt. Auch eine Lust, sich mit diesem gesamten Ballast an Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen. Auch zu akzeptieren, dass man im Resultat selbst nur zu einem Teil drinsteckt. Klar, in seiner Funktion als Mediator und als Persönlichkeit ist man selber immer schon mitdrin, aber einfach nur als eines dieser Elemente der Ausgangslage.
Warst Du denn immer motiviert?
Grundsätzlich schon. Aber irgendwann wird es auch zum Berufsalltag. Nach dem hundertsten kleinen Erscheinungsbild, hat man auch das Gefühl, es zu können. Die Motivation nützt sich durch die Wiederholung ab.
Aber nicht innerhalb eines Gestaltungsprozesses. Dass Du in gewissen Projektphasen Motivationsschwierigkeiten gehabt hättest?
Jedes Mal, wenn es schwierig wird! Ich hatte selten Schwierigkeiten auf Seiten der bürokratischen Anforderungen, selten Schwierigkeiten auf Seiten der Konzeption. Die grössten Widerstände setzen einem die Medien entgegen, die visuelle Sprache. Zuerst bis zu jedem Zweifel, dann bis zu jeder Verzweiflung.
Was sind denn die grössten Probleme, die Du in einem gestalterischen Prozess hast?
Das kann ich nicht sagen. Das kann an unterschiedlichen Orten entstehen. Seit der Epoche des Computers, lässt man sich von der Maschine in Beschlag nehmen. Auch mir passiert es, dass ich gelegentlich versuche, Problemlösungen an irgendwelche Apparate zu delegieren. Ich will mich in diesen Verzweiflungsphasen natürlich ablenken. Mich mit blöden anderen Fragen umherschlagen, so dass ich weder denken noch schauen muss. Das war in den letzten Jahren ein grösseres Problem für mich.
Die technischen Sachen sind mehr Flucht vor den eigentlichen Problemen. Kannst Du denn definieren, was die eigentlichen Probleme sind?
Eine Seite war sicher immer, ein eigenes, nicht vorfabriziertes Bild zu finden. Ein Bild zu finden, von dem ich das Gefühl hatte, es noch nie gesehen zu haben, das aber gleichzeitig richtig für die Sache wäre.
Dann auch ganz konkrete Sachen: Wie kommt Bild und Typografie zusammen? Wie ist diese Verknüpfung von Textinformation und Bildinformation? Dann kompositorische Fragen: Stimmen die Wertigkeiten, die Hierarchien im Bild? Hat das Resultat im Ganzen gesehen das Klima, welches wir uns von der Konzeption her vorstellen? Spricht es in der richtigen Tonhöhe, Lautstärke, und so weiter?
Der Gestaltungsprozess ist – modellhaft betrachtet – immer ein Wechselspiel zwischen dem Schaffen einer Vielfalt und deren Eingrenzung. Hattest Du jemals Probleme, gestalterische Entscheide zu treffen?
Für mich war eine wichtige Technik, möglichst breit anzufangen. Ich habe mir am Anfang jedes grösseren Entwurfsprozesses zwei Tage eingestanden, in welchen ich ganz bewusst unstrukturiert Sätze, Bildvorstellungen und Gegenstände zusammensammelte. In assoziativem Sinne. Überhaupt nicht zielgerichtet. Durch diese Vorgehensweise habe ich mir einen inneren Raum möbliert.
Da gibt es Sachen, die sind einem sympathisch. Da gibt es Sachen, die etwas miteinander zu tun haben wollen. Andere sind einem noch immer sympathisch, aber man kann nichts mit ihnen anfangen. Wenn sich dann gewisse Elemente verbinden, gibt es oft zwei, drei, vier Ansatzpunkte zum Weitermachen. Ich habe praktisch immer in Parallelenwürfen gearbeitet.
Bis zum Schluss?
Nein, klar. Mit der Zeit ist das ein Ausgrenzungsprozess. Wobei wir dem Kunden oft zwei, drei, vier mögliche Strategien vorgestellt haben. Zum einen weil es uns entsprach, zum anderen auch weil es dem Kunden eine bessere Möglichkeit gibt, sich selber aufgrund des Bildes zu reflektieren.
Wäre das, was Du jetzt umrissen hast, etwas wie eine bestimmte Methode zu gestalten? Quasi ein erkennbares Muster in der Art Deines Vorgehens?
Ja. Das kann man so sagen. Vielleicht noch ergänzend: Ich habe relativ viele Plakate gemacht. Und ich habe mich immer sehr schlecht gefühlt, wenn ich nur ein Plakat machen konnte. Andererseits habe ich mich immer extrem gut gefühlt, wenn ich eine Serie machen konnte. Man muss die Entscheidung zwar fällen – in Bezug auf etwas Ganzes, Komplexes – aber nicht in Bezug auf etwas Exklusives. Man kann Entscheidungen extrem gut verteilen.
Der Gesamtheit kommt einfach mehr Gewicht bei als dem Einzelteil.
Auch Bücher machen finde ich eine fruchtbare Aufgabe. Alles was einen seriellen Moment hat, puffert das Problem des Entscheidens enorm aus.
Wie kommst Du konkret zu Ideen für einen Auftrag? Was machst Du zu Beginn?
Zuerst versuche ich, ein Maximum an Informationen rauszuholen. Die Bedürfnislage des Kunden oder den Anspruch der Aufgabe zu klären. Dann versuche ich, alles zu mobilisieren, was an eigenen vorgefassten Meinungen bereits vorhanden ist. Manchmal ist es angesagt, in einem ausführlichen Sinne zu recherchieren.
Das andere ist, was ich bereits vorhin erzählt habe: Einen Raum erstellen, der näher bei der Gestaltung liegt als eine solche Dokumentation. Welche Farbe will dieser Auftrag? Handelt es sich um einen orangen Auftrag oder nicht?
Wie weisst Du, dass orange besser passt als blau?
Das ist rein intuitiv – nicht in einem seelenmässigen Sinne. Das hat natürlich mit genau diesen Vorkenntnissen und Vormeinungen zu tun. Vom ersten Telefongespräch an hat man immer schon ein Bild zu einer Sache. Darauf kommen ziemlich schnell auch die anderen Seiten dazu. Nämlich, was ist der Zeitrahmen? Wie kann eine Zeitstruktur aussehen, um zu einem Resultat zu kommen? Was ist der ökonomische Rahmen? Darf ich drucken? Aus diesen drei Elementen fügt sich das langsam zusammen.
Durch alle diese Einschränkungen steht am Schluss die Lösung da?
Ja. Das finde ich auch das Tolle an diesem Beruf, dass es nichts mit unbegrenzten Möglichkeiten zu tun hat. Man arbeitet immer in einem Set von Rahmenbedingungen, hat aber in der Interpretation derselben enorme Freiheiten. Es ist ein Spiel, ein harmloser Kampf.
Wenn wir nocheinmal auf das Bild dieses Raumes Bezug nehmen. Wie kommst Du denn auf die Idee einen Stuhl hineinzustellen?
Wenn ich beispielsweise meinen Kunden interviewe, kommen mir dauernd Sachen in den Sinn. Ich notiere viel. So kann dann auch ein Stuhl einen Platz im Raum finden. Für jede Problemstellung gibt es sicher 10 bis 150 Lösungen. Dort hat der Gestalter auch die grosse Freiheit, einen Stuhl zu verwenden.
Aber wie weisst Du denn, dass Deine Lösung die ‘richtige’ ist?
Es gibt keine ‘richtige’ Lösung. Es gibt wie gesagt 10 bis 150 verschiedene.
Aber Du machst doch Deine Lösung.
Es bleibt mir nicht viel anderes übrig. Aber dort setzt auch das Moment des Zweifels ein. Gerade wenn man nicht vorwärts kommt, taucht man und denkt: "Wieso soll es jetzt gerade meine Lösung sein; und dann noch gerade diese von zehn möglichen?"
Gibt es noch Freiräume zur Innovation neuer, eigenständiger Ideen? Oder gibt es bereits alles?
Ich glaube in der visuellen Gestaltung ist man schlussendlich gezwungen, jedesmal wieder etwas Frisches zu produzieren. Ich weiss schon, dass im Moment die Realität dem etwa in 85 Prozent der Fälle widerspricht. Heute hat man den Eindruck, dass sich Szenenkonventionen transportieren – aufs Innigste verknüpft mit technischer Machbarkeit. Das ändert aber nichts daran, dass Gestaltung nur dann spricht, wenn sie aus der Zeit und dem Individuum heraus gemacht wird. Das ist meiner Meinung nach der Grund, warum sie auch weiterhin von Individuen gemacht werden soll. Nur so bringt man die Medien zum Sprechen.
Werden diese Freiräume nicht immer kleiner?
Nein. Ich meine, sie sind neu durch die Wahrnehmung und nicht neu, weil es sie noch nie gegeben hätte. Das Bild da (zeigt auf kleines Ölbildchen an der Wand eines Luganeser Restaurants) ist gerade eines meiner Lieblingsbilder. Je nach dem, wo ich es plaziere, in welchen Kommunikationszusammenhang ich es stelle, ist es richtig und auch neu und authentisch.
Du meinst Neuinterpretation?
Ja. Sicher erfinden wir die Univers nicht zum tausendsten Mal neu. Wenn man es auf die einzelnen Elemente hinunterbricht, kann man vielleicht schon sagen, dass es bereits alle gegeben hat. Aber die Fügung der Elemente und in welchem Kommunikationszusammenhang man sie stellt, dort wird es erst spannend.
Unseren Neumarkt-Arbeiten hat man wahnsinnig vorgeworfen, eine Abkupferung russischer Avantgarde zu sein. Es ist schon so, wir haben sie einfach frisch erfunden. Wir waren viel zu wenig gebildet – zumindest zuwenig systematisch – um sie effektiv zu kopieren. Aber sie haben dort auch wieder funktioniert. Vielleicht funktioniert visuelle Gestaltung nur dann nicht mehr, wenn man einen kunsthistorischen Blick darauf anwendet. Ich weiss es nicht.
Gibt es zeitlose Gestaltung?
Die Univers… Sicher gibt es das. Es gibt Sachen, die von ihrem Aufbau her Muster bedienen, die sehr langlebig sind. Sie beziehen sich in ihrer Aussage nicht lediglich auf ihre Funktion – was sie sagen müssten –, sondern arbeiten mit Elementen, die mit menschlicher Wahrnehmung zu tun haben.
Um was für Elemente handelt es sich denn dabei?
Figur, Grund beispielsweise. Gewicht. Kontrastverhältnis. Echt visuelle Geschichten. Ich glaube nicht, dass sie in dem, was sie konkret sagen, zeitlos sind. Das kann ich mir schwer vorstellen.
Demnach glaubst Du nicht an eine Zeitlosigkeit im Sinne der Aussage?
Das glaube ich eigentlich nicht. Das habe ich mir nie überlegt – scheint mir aber relativ unwahrscheinlich.
Ich musste gestern beim Autofahren ‘Yellow Submarine’ hören. Das kann man nur noch fünfjährigen Kindern vorspielen. Das ist unglaublich, aber effektiv so.
Würdest es Du denn überhaupt als erstrebenswert erachten, zeitlose Gestaltung machen zu können?
Nein. Mir gefällt an diesem Beruf auch, dass man extrem kurzlebige Sachen produziert. Es ist vielleicht im Moment wichtig, aber meistens muss es niemand länger betrachten als einige Monate oder Jahre.
Das befreit zusätzlich von Druck.
Natürlich. Man kann im Moment etwas aufdrehen. Man hat im Gegensatz dazu einen viel längeren Verantwortungsraum wenn man Häuser baut.
Nocheinmal zum Zeitgeist: Denkst Du, dass Gestaltung überhaupt losgelöst von Mode und Zeitgeist funktionieren kann?
Nein. Ich denke es wäre völlig falsch, wenn sie das machen würde. Sie steht ja immer in Zusammenhang – auch wenn man sich dagegen stellt. Wir haben früher Sachen gemacht, welche die Leute im Moment schrecklich fanden, wir aber drei Jahre später Komplimente dafür bekamen. Anfangs waren wir stolz darauf. Rückblickend betrachtet finde ich es aber relativ unpassend, da es zur Konsequenz hatte, dass sie nie wirklich funktionierten, als sie das sollten.
Zurück zum Gestaltungsprozess: Welche Rolle spielte der Kunde bei Dir? Wie sah die Zusammenarbeit aus?
Das hatte viel mit dem Interesse des Kunden zu tun, daran überhaupt beteiligt zu sein. Es gibt Kunden, die sagen: "Ich bin Metzger, Du bist Gestalterin, also machst Du das." Für mich war es dann relativ wichtig, seine Abneigungen betreffend Farben zu kennen. Oder es gibt Kunden, die eigentlich nur wollen, dass man macht, was sie sich vorstellen. Das sind Extrempositionen, die ich beide nicht sehr gut kenne. Im Mittelfeld hängt die Qualität der Zusammenarbeit davon ab, wie gut ein Kunde akzeptieren kann, dass es diese zwei Professionalitäten gibt und wie intelligent ein Kunde ist, wie gewohnt, mit Kultur etwas zu tun zu haben.
Wie sähe der Idealfall aus?
Der ideale Kunde ist jemand, der auf seinem Gebiet etwas sehr gut macht, das gut reflektieren kann, das kommunizieren kann. Jemand, der zu einem kommt weil er das Gefühl hat, dass man es auf seinem Gebiet auch sei und einem dadurch einen grossen Spielraum lässt. Das zweite, was ein Kunde bringen kann, ist, dass seine Einwände so von einer anderen Seite kommen, dass sie mich auch weiterbringen.
Gestalten scheint mir ein zeitlich schwer berechenbarer Vorgang. Eine Idee kann endlos weiterentwickelt werden. Wie merkst Du, wenn es Zeit ist, eine gestalterische Arbeit abzuschliessen?
Grundsätzlich regelt der anfänglich gemachte Zeitplan meine Phantasien über die Unendlichkeit eines Auftrages. Trotzdem reicht natürlich die Zeit nie aus. Das ist halt auch einer dieser Krämpfe. Aber die Vorstellung eines unendlichen Entwickeln einer Idee kenne ich eigentlich nicht.
Bei Dir war es immer nach einer gewissen Zeit an einem Punkt angelangt, wo Du sagen konntest: ‘Jetzt ist es fertig!’?
Ja. Wenn es für das, was es werden sollte, gut genug war. Das ist manchmal eher im Zeitplan zu erreichen, manchmal weniger.
Wie sieht denn ein solcher Zeitplan aus?
Meistens bekommt man eine Sache mit einem fixen Endpunkt auf den Tisch. Grundsätzlich weiss man: es gibt eine Recherchierphase, dann eine Entwurfsphase, eine Präsentationsphase, Revisionsphase, Realisationsphase. Dann teilt man das von hinten her in fünf Teile. Gewichtet diese in Massgabe der vorhanden Erfahrung. Diese Grobplanung gibt einem die Möglichkeit, dem Kunden zu sagen, was es kosten wird. Danach wird es auf einen sehr grossen Konkretionsgrad hinuntergebrochen: Tages- und Stundenziele.
Du setzt Dir demnach für die einzelnen Zwischenschritte immer zeitliche Limiten?
Ja, recht eng. Natürlich in der Entwurfsphase weniger. Obwohl ich immer die Hoffnung habe, dass die gute Idee, der gute Ansatz schnell kommt, ist das unberechenbar. Darum ist das anfangs nicht so stark geregelt. Aber wielange es nicht geregelt ist, ist schon geregelt.
Und Du hälst Dich strikte an Deinen Plan?
Es bleibt mir nichts anderes übrig. Ich bin jemand, der nicht gut nächtelang durcharbeiten kann. Ich neige nicht zu Chaos-Management.
Findest Du, dass Du effizient arbeitest?
Sehr effizient, wenn das Grundmaterial steht. Aber in der Phase der Konzeption und Ideenfindung unterschiedlich. Vielleicht sogar ein bisschen in Relation dazu, wie gut dieser erste Denkraum ausgestattet ist.
Was sind nennbare Qualitätskriterien, nach welchen Du Gestaltung beurteilst?
Ich glaube, ich reagiere zuerst relativ konventionell nach Korrektheit und Intelligenz der handwerklichen professionellen Fertigung. Ist es gut gemacht oder nicht? Wie bei einem Stuhl oder Tisch.
Quasi das Handwerk?
Ja. Oder wenn ich es länger betrachte: Die Professionalität des Konzeptes, wie die Botschaft vermittelt wird.
Du hast von 'Professionalität des Konzeptes' gesprochen, welche Qualitäten muss ein Konzept haben, um professionell zu sein?
Wenn ich z.B. die Botschaft verstehe. Wenn ich nicht bereits Widersprüche in der Idee beseitigen muss, um zur Botschaft zu gelangen – was des öfteren passiert. Wenn ich finde, dass etwas durch eine gute Idee erzählt wird. Ein Mass an Überraschungen – auf Ebene der Gestaltungselemente und auf Ebene der Konzeption.
Findest Du Deine Arbeiten gut?
Das ist unterschiedlich. Für einen Kunden haben wir einmal eine Präsentation mit den ‘worst of…’ gemacht. Das war sehr lustig.
Gibt es eine Deiner Arbeiten, die Du besonders magst?
Das wechselt.
Welche ist es momentan?
Die neusten Sachen sind meistens die am wenigsten beliebten. Weil da noch am meisten Zweifel drinstecken. Es gibt zum Beispiel ein Plakat für das Helmhaus – ein Einzelplakat erstaunlicherweise. Das finde ich eine tolle Arbeit, vielleicht auch weil es so unbelastet war. Ein völliges Gebastel, aber ein vergnügtes.
Was sind Zweifel, die bei Dir als Gestalterin auftauchen können?
Eine Unzufriedenheit mit ganz vielen Entscheidungen, die aber im Laufe des Prozesses unkorrigierbar werden. Oder Entscheidungen, an welchen man schräg vorbeischielte und hoffte, dass es schon gut kommt. Dann erweist sich, dass es doch nicht gut herauskam.
Kann das nicht auch sehr unbefriedigend sein, wenn man nie ganz sicher ist?
Ja. Ich finde vielleicht fünfzehn bis zwanzig Prozent von dem was ich gemacht habe in Ordnung. Das hat auch mit der zeitlichen Distanz zu tun. Denn wenn etwas ganz frisch ist, weiss man immer zehn Sachen, die noch hätten besser sein können. Man gelangt nie an einen Punkt der absoluten Perfektion in allen Quadratzentimetern. Es ist auch eine eigenartige Vorstellung, ohne Zweifel zu sein.
Es gibt sicher Leute, die das so handhaben.
Ich bin in der Hinsicht auch relativ schlampig. Es gibt Gestalter, die sind sehr perfekt – Stähelin zum Beispiel.
Gut, er wird das vielleicht auch anders sehen.
Das ist gut möglich.
Was denkst Du, sind die Hauptfunktionen von Gestaltung – Grafik im Besonderen?
Das ist ein weites Feld. Die Welt mit nützlichen Sachen auszustaffieren. Ergonomie. Dass man es lesen können muss, falls man es lesen können sollte. Aber auch, dass es einem etwas erzählt, das einem nützt.
Sollte Gestaltung selbsterklärend sein?
Ich finde, man sollte nicht zusätzlich über das Gestaltungsprodukt hinaus kommentieren müssen. Ich wüsste nicht, zu was Gestaltung dienen würde, wenn man sie erklären müsste. Auf den zweiten Blick darf ein Gestaltungsprodukt jedoch durchaus ganz viele unerklärliche Sachen beinhalten. Solange es ungefähr für das funktioniert, für was es beabsichtigt wurde.
Das ist eine lustige Frage, warum stellst Du diese?
Viele Sachen, die man sich in einem Gestaltungsprozess überlegt, sieht man dem effektiven Endprodukt gar nicht an. Es stellt sich dann die Frage, ob es diese Überlegungen überhaupt braucht.
Wenn es sie auf dem Weg braucht, braucht es sie zwangsläufig. Aber das ist auch eine der schwierigeren Sachen: Man ist dermassen involviert, dass man eigentlich nur über eine aussenstehende Person erfährt, ob das rauskommt, was man eigentlich beabsichtigt. Ich habe solche Prozesse selten alleine durchstehen müssen. Ich konnte immer Leute fragen, was sie denn darauf sehen.
Findest Du das wichtig?
Extrem. Sonst hast Du niemanden, der Dich aus Deinen Zweifeln befreit. Du hast keine Kontrolle darüber, ob die Hierarchien der Botschaft am Schluss berücksichtigt blieben.
Was versteht das Publikum, eine Öffentlichkeit überhaupt von Gestaltung?
Ich bin zwangsläufig überzeugt, dass sie auf die Faktoren Ergonomie und Kommunikation reagieren. Wenn ich davon nicht überzeugt wäre, hätte ich es nie gemacht. Ich denke aber, dass das Publikum auch noch eine andere Seite der Wahrnehmung hat, die schwerer zugänglich ist, die viel mehr mit gesellschaftlichen oder individuellen Werten verbunden ist. Und diese Werte sind auch mit Bildern ausstaffiert.
Als Gestalterin beschäftige ich mich jedoch weniger damit, als dies zum Beispiel Werber tun.
Aber Du versuchst trotzdem, das Publikum anzusprechen.
Ja, schon. Aber ich finde es relativ gefährlich mit Werten zu fuhrwerken.
Denkst denn Du, dass sich die Vorstellungen welche Gestaltende von guter Gestaltung haben mit denen des Publikums decken?
Nein. Nicht unbedingt. Die ‘gute Gestaltung’ ist eine Expertenmeinung.
Das scheint mir interessant. Produzieren wir Gestalter nicht etwas, das im besten Falle auch vom Gestalterischen her beim Publikum auf Resonanz stossen sollte?
Nein, nicht unbedingt vom Gestalterischen her. Man kann versuchen, die Leute dort abzuholen, wo sie sich befinden. Aber das passiert eher über ganz viele andere Sachen. Über Werte, die der Gestaltung vielleicht gar nicht zugänglich sind; die unter Umständen auch kurzlebig sind, mit Ängsten zu tun haben. Solche Sachen sind der Kunst visuell eher zugänglich und werden dann von der Werbung genutzt. Gestaltung kann damit auch spielen.
Es gibt Gestaltungsbuden, die ich auf konzeptueller Ebene enorm schätze, aber auf visueller Ebene schreckliche Sachen produzieren. Aus den Überlegungen heraus, gelesen zu werden. Ich habe grosse Zweifel daran oder es würde mich zumindest nicht zufriedenstellen – in meinem politischen Verständnis zum Nutzen von Gestaltung, das die Emanzipation des menschlichen Geistes miteinbezieht. Ich glaube nicht daran, dass man, wenn etwas in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt werden soll, es beispielsweise mit Verläufen schmücken muss, damit es in der Funktion zugänglicher wird.
Wer sagt, was es zugänglicher macht oder nicht?
Ich glaube, es gibt im neuen Design ganze Strömungen, die cool sind und sich nur noch auf die Funktion beziehen. Gerade im Bereich Netzgestaltung gibt es viele, die einfach mit einer Bildschirmschrift schauen, dass man auf angenehme Art schnell zu seinen Sachen kommt. Eine Coolheit, die versucht, sich all diesem zu enthalten und nur noch die Funktion in den Vordergrund stellt. Das hat viel mit Abgrenzung zu tun.
Gibt es irgendein Thema oder eine Frage, die Dich als Gestalterin stark beschäftigt und ich jetzt nicht angeschnitten habe?
Was mich als Gestaltungslehrerin stark beschäftigt ist, wie man in der ganzen Explosion an Anforderungen und der ganzen Reduktion an Zeit den Studierenden ermöglicht, eine Qualität von Bildern wachsen zu lassen. Die Ärmsten müssen so schnell durch ihre Ausbildung, dass sie gar keine Zeit haben, Sachen, die mir enorm wichtig erscheinen, einmal für sich selber erarbeiten zu können, schätzen zu lernen und zu einem eigenen Ding zu machen. Das braucht Musse.
Nur kleine Typo- oder Blättchenorganisatoren auszubilden, so auszubilden, dass es nicht zu einem Anfang für eine Berufslaufbahn bis 65 reicht, das beschäftigt mich momentan fast am meisten. Auch dieses Wiederholen halbbatziger Chiffren im Aussenraum.
Der Gestaltung geht es im Moment nicht wahnsinnig gut. Sie ist nichts Wichtiges. Sie ist nichts, das die Welt bewegt. Man spricht nicht über Plakate,…
Hat man das jemals?
Ja. Ich denke, dass es in den achtziger Jahren eher ein Wahrnehmungsgrad für Design gab. Heute ist es als Thema sehr abgenutzt, zu einem Marktsegment unter vielen verkommen. Man kann sich damit nicht mehr profilieren. Der Neuigkeitswert, den es einmal gehabt hat, ist weg. Dadurch reproduziert es sich sehr.
Wird das wieder besser?
Momentan sehe ich keinen Silberstreifen am Horizont. Das hängt stark von diesen eingeklemmten jungen Leuten ab. Nicht, dass ich es delegieren möchte. Aber ich denke, dass man mit 25 ein anderer Gestalter ist als mit 45. Das hat mit Erfahrung zu tun, aber auch mit seinen Bedürfnisse sich zu äussern und zu identifizieren. Das ist auch das tolle an diesem Beruf, dass es möglich ist, sehr viel eigene Werte in etwas einzubringen, das ein Publikum hat, ohne dass man sich selber wirklich zu erkennen geben muss. Dass man mit 25 andere Sachen mitreinpacken will, als mit 45 liegt auf der Hand. Die jüngeren Leute auf Deiner Liste sind solche, die viel kreative Egozentrik in ihre Arbeit einzubringen haben. Gestaltung funktioniert immer auch auf dieser Schiene. Das braucht es, sonst ist dieser Zeitbezug, die Aktualität der Gestaltung gar nicht gegeben.
Hattest Du denn jemals Angst laut Zeitgeist keine gute Gestaltung mehr zu machen?
Das ist so. Es gibt wenige, die sich mit ihrer Arbeit lange aktuell halten können. Heutzutage wird ein Gestalter meist vor 50 berühmt. Das heisst auch, dass sie dann ihre Wahrnehmung von dem haben, was sie zu sagen haben. Die Zeit geht aber weiter.
Danke vielmals, dass Du Dich meinen Fragen ausgesetzt hast.
nach oben
 
nach hause (home)
© David Clavadetscher, 2003.